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Russland hat erneut eine Feuerpause für die schwer zerstörte südukrainische Hafenstadt Mariupol angekündigt. Die Maßnahme werde am Donnerstag um 10.00 Uhr (Ortszeit; 09.00 Uhr MESZ) in Kraft treten und solle die Möglichkeit schaffen, Zivilisten über einen humanitären Korridor herauszuholen, erklärte das russische Verteidigungsministerium am Mittwoch. Die ukrainische Regierung bezeichnete die russische Ankündigung als Versuch der "erneuten Manipulation".
Russland hatte eine "direkte Beteiligung von Vertretern des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge (UNHCR) und des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK)" vorgeschlagen. Der humanitäre Korridor soll demnach über die unter russischer Kontrolle stehende Stadt Berdjansk ins 250 Kilometer entfernte Saporischschja führen.
Das russische Ministerium forderte die Regierung in Kiew auf, die "bedingungslose Einhaltung" der Feuerpause durch eine schriftliche Mitteilung an die russische Seite sowie das UNHCR und das IKRK zu bestätigen. Die ukrainische Armee müsse sich außerdem für die Sicherheit der Buskonvois, in denen die Zivilisten transportiert werden sollen, einsetzen.
Russland hatte bereits mehrfach entsprechende Ankündigungen gemacht. Die Evakuierungsaktionen waren jedoch meist gescheitert, wofür sich beide Seiten gegenseitig die Schuld gaben.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock wies am Donnerstagmorgen darauf hin, dass "noch immer weit mehr als 100.000 Zivilistinnen und Zivilisten" in Mariupol eingeschlossen seien – "darunter Kinder, Frauen, Männer, alte Menschen". Sie erlebten seit Wochen "einen kaum vorstellbaren Alptraum ohne Strom, ohne Wasser, ohne Heizung in einer Stadt, auf die pausenlos russische Bomben, Raketen und Granaten fallen, und die dem Erdboden gleich gemacht wird".
Russland scheine "entschlossen, die Stadt zu erobern oder zu vernichten, egal um welchen menschlichen Preis". Sie rufe die russische Regierung auf, "sichere Korridore für Zivilpersonen zur freiwilligen Evakuierung und die Lieferung humanitärer Hilfe für diejenigen zu ermöglichen, die nicht gehen können oder bleiben wollen".
Der ukrainische Staatschef Wolodymyr Selenskyj sagte in seiner abendlichen Ansprache: "Wir glauben niemandem, keiner einzigen schönen Phrase". Dabei bezog er sich auf die Zusicherung russischer Unterhändler vom Dienstag, Moskau werde seine Angriffe auf Kiew und Tschernihiw im Norden "radikal" zurückfahren. Dennoch wird Tschernihiw laut ukrainischen Behörden weiterhin beschossen. AFP-Journalisten meldeten zudem weiterhin Explosionen aus der Richtung der umkämpften Kiewer Vorstadt Irpin.
Selenskyj bekräftigte nun Angaben seiner Armee, dass sich die russischen Streitkräfte nur umgruppieren würden, damit sie in der Donbass-Region im Osten stärker angreifen können. "Wir werden nichts verschenken. Wir werden um jeden Meter unseres Territoriums kämpfen", warnte der Präsident. Aus zahlreichen Ortschaften im Osten wurden weitere Luftangriffe gemeldet.
US-Militärs sagten indessen, dass die russischen Streitkräfte begonnen hätten, sich aus der Region um das stillgelegte Kernkraftwerk Tschernobyl nördlich von Kiew zurückzuziehen. "Wir glauben, dass sie abziehen, aber ich kann Ihnen nicht sagen, dass sie alle weg sind", sagte ein Vertreter des US-Verteidigungsministeriums, der anonym bleiben wollte.
In Mariupol wurde nach ukrainischen Angaben ein Gebäude des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) Ziel russischer Luftangriffe. Ein Sprecher der Organisation in Genf konnte jedoch keine Angaben dazu machen, da kein Personal vor Ort sei.
Mariupol ist seit Wochen von jeglicher Versorgung abgeschnitten und wird von den russischen Streitkräften heftig beschossen. Tausende Menschen sind bereits gestorben.
Die Verhandlungen mit Russland über ein diplomatisches Ende des Kriegs sollen indessen dem ukrainischen Unterhändler David Arachamia zufolge am Freitag per Online-Schalte fortgesetzt werden.
E.Leuenberger--NZN