Zürcher Nachrichten - Neue russische Großoffensive im Osten und Süden der Ukraine befürchtet

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Neue russische Großoffensive im Osten und Süden der Ukraine befürchtet
Neue russische Großoffensive im Osten und Süden der Ukraine befürchtet

Neue russische Großoffensive im Osten und Süden der Ukraine befürchtet

Die Ukraine rüstet sich für eine neue russische Großoffensive im Osten und Süden des Landes. Russland positioniere seine Einheiten in der Ukraine neu und versuche "höchstwahrscheinlich", seinen Einsatz im Donbass zu verstärken, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Donnerstag in Brüssel. Zu erwarten seien "Offensivaktionen, die noch mehr Leid verursachen werden". Humanitäre Helfer begannen mit der Vorbereitung einer neuen Evakuierungsaktion für seit Wochen in Mariupol eingekesselte Zivilisten.

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Russland hatte zuletzt eine "radikale" Truppenreduktion im Norden der Ukraine angekündigt. Wie der ukrainische Atomenergiekonzern Energoatom meldete, begannen die russischen Truppen am Donnerstag, sich aus der Zone um die Atomruine Tschernobyl zurückzuziehen und sich in Richtung Belarus zu bewegen.

Um einen echten Rückzug aus der Ukraine handelt es sich dabei nach westlicher Einschätzung aber nicht. Die russischen Streitkräfte "ziehen sich nicht zurück, sondern positionieren sich neu", betonte Stoltenberg. Ähnlich äußerte sich der ukrainische General Pawlo "Maestro" in Charkiw. Die russische Armee stelle sich neu auf, "um ihre maximalen Kräfte in der Süd- und Ostukraine einzusetzen", sagte er AFP.

Stoltenberg warnte zudem vor einem anhaltenden Druck Russlands auf Kiew und andere Städte. Ein humanitärer Konvoi, der Zivilisten aus der belagerten nordukrainischen Stadt Tschernihiw in Sicherheit bringen sollte, wurde nach ukrainischen Angaben am Donnerstag beschossen. Ein Mensch sei getötet und vier weitere seien schwer verletzt worden, sagte die Menschenrechtsbeauftragte des ukrainischen Parlaments, Ljudmyla Denissowa.

Den russischen Truppen warf sie vor, jegliche Evakuierungsversuche zu verhindern. Zehntausende Zivilisten säßen deshalb in Tschernihiw "ohne Nahrung, Wasser und Heizung" fest.

Noch verheerender ist die humanitäre Situation im weitgehend zerstörten Mariupol. Noch etwa 160.000 Einwohner befinden sich in der seit Wochen von jeglicher Versorgung abgeschnittenen und von den russischen Streitkräften heftig beschossenen Hafenstadt. Für diesen Donnerstag hatte Russland eine Feuerpause für Mariupol angekündigt, um die Ausreise von Zivilisten über einen humanitären Korridor nach Saporischschja zu ermöglichen.

Ob die Feuerpause, die um 10.00 Uhr (Ortszeit, 09.00 Uhr MESZ) beginnen sollte, hielt, war bis zum Nachmittag unklar. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) erklärte, es hoffe auf einen Beginn der Evakuierungsaktion am Freitag. "Es ist lebenswichtig, dass dieser Einsatz stattfinden kann. Das Leben zehntausender Menschen in Mariupol hängt davon ab", mahnte die Organisation. Mehrere Evakuierungsversuche für Mariupol scheiterten bereits.

Die ukrainische Regierung kündigte die Entsendung von 45 Evakuierungsbussen in die Region an. 17 der Fahrzeuge seien bereits nach Mariupol unterwegs, erklärte Vize-Regierungschefin Iryna Wereschtschuk.

Nach ukrainischen Angaben wurden seit Beginn des russischen Angriffskrieges in Mariupol bereits mindestens 5000 Menschen getötet. Die Behörden der Hafenstadt werfen Russland zudem vor, mehr als 20.000 Einwohner der Stadt "gegen ihren Willen" nach Russland gebracht zu haben.

Nach Angaben des britischen Verteidigungsministeriums bleibt Mariupol heftig umkämpft. Das Stadtzentrum befinde sich aber nach wie vor unter ukrainischer Kontrolle. Der tschetschenische Machthaber Ramsan Kadyrow gab an, 90 bis 95 Prozent der Hafenstadt befänden sich unter russischer Kontrolle.

Unklarheit herrschte am Donnerstag über die Lage im ostukrainischen Donbass. Die prorussischen Separatisten in der Region meldeten wichtige Gebietsgewinne. So seien mehr als 90 Prozent des Bezirks Luhansk "befreit" worden. Der Bezirk Donezk werde zu mehr als der Hälfte von den prorussischen Kräften kontrolliert. Vor dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine am 24. Februar hatten die Separatisten jeweils rund ein Drittel der Regionen Donezk und Luhansk kontrolliert.

Russland hatte kürzlich die Eroberung der ostukrainischen Gebiete zur Priorität seines Einsatzes in der Ukraine erklärt. Militärexperten werten dies als Beleg dafür, dass Russland angesichts von tausenden getöteten und verletzten Soldaten keine andere Wahl hat, als die Bemühungen um einen gleichzeitigen Vormarsch entlang mehrerer Achsen im Norden, Osten und Süden aufzugeben.

X.Blaser--NZN