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Die Menschenrechtsorganisationen Amnesty International und Human Rights Watch haben Sicherheitskräften und Behördenvertretern aus der äthiopischen Region Amhara massive Menschenrechtsverletzungen wie Vertreibung, Tötungen und Vergewaltigungen gegen die Bevölkerung von Tigray vorgeworfen. Die amharischen Truppen und von ihnen eingesetzte Behördenvertreter in eroberten Gebieten in West-Tigray hätten dort "eine unerbittliche Kampagne der ethnischen Säuberung" geführt, heißt es in einem am Mittwoch veröffentlichten Bericht.
Mehrere hunderttausend Zivilisten seien "systematisch" vertrieben worden, "unter Einsatz von Drohungen, außergerichtlichen Tötungen, sexualisierter Gewalt, willkürlichen Massenfestnahmen, Plünderungen, Zwangsumsiedlungen und der Verweigerung humanitärer Hilfe", erklärten Amnesty International und Human Rights Watch.
Tausende Menschen seien "unter unwürdigen Bedingungen" eingesperrt und misshandelt und tausende Frauen und Mädchen vergewaltigt worden. Die Behörden hätten Schilder aufstellen lassen, welche die Tigrayer aufforderten, die Region zu verlassen. Zugleich sei der Zugang zu der Region massiv eingeschränkt worden. Wegen ausbleibender humanitärer Hilfe drohe Hunderttausenden eine Hungersnot.
Die beiden Menschenrechtsorganisationen haben nach eigenen Angaben über 15 Monate Interviews mit mehr als 400 Menschen geführt, darunter Flüchtlinge im angrenzenden Sudan und Menschen, die weiterhin in West-Tigray oder anderen Regionen Äthiopiens leben. Die Gräueltaten wurden demnach von den neu ernannten zivilen Verwaltern im westlichen Tigray sowie regionalen Kräften und irregulären Milizen aus der benachbarten Amhara-Region begangen.
Amharas und Tigrayer sind zwei der größten ethnischen Gruppen Äthiopiens. Beide erheben historischen Anspruch auf das fruchtbare Gebiet des westlichen Tigray, das sich vom Tekeze-Fluss bis zum Sudan erstreckt. Die USA hatten bereits im März 2021 auf "ethnische Säuberungen" im westlichen Tigray hingewiesen. Die Amhara-Behörden wiesen dies als "Propaganda" zurück.
Die Menschenrechtsorganisationen machen auch der Zentralregierung von Ministerpräsident Abiy Ahmed schwere Vorwürfe. Die dokumentierten Menschenrechtsverstöße seien "mit Billigung und unter möglicher Beteiligung der nationalen äthiopischen Streitkräfte" geschehen, erklärten sie. "Die äthiopische Regierung hat das schockierende Ausmaß dieser Verbrechen beharrlich geleugnet und nichts getan, um sie zu verhindern", erklärte der Deutschland-Direktor von Human Rights Watch, Wenzel Michalski.
Der bewaffnete Konflikt in Äthiopien hatte im November 2020 mit einer Offensive der äthiopischen Streitkräfte begonnen, nachdem die in Tigray regierende TPLF die Autorität der Zentralregierung immer wieder infrage gestellt hatte. Die TPLF verlor zunächst größtenteils die Kontrolle über die Region, bevor sie die äthiopischen Truppen im Laufe des Jahres 2021 zurückschlug. Anschließend weitete sich der Konflikt auch auf Tigrays Nachbarregionen Amhara und Afar aus.
Seit Beginn der Kämpfe wurden nach UN-Angaben tausende Menschen getötet und mehr als zwei Millionen weitere in die Flucht getrieben. Die Vereinten Nationen werfen allen Konfliktparteien schwere Menschenrechtsverletzungen vor. Nach 17 Monaten vereinbarten Addis Abeba und die TPLF Ende März eine Waffenruhe.
D.Graf--NZN