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Angesichts anhaltender Bandengewalt und einer zunehmend prekären humanitären Lage in Haiti haben die Vereinten Nationen eine "Luftbrücke" zur Versorgung der Bevölkerung des Karibikstaats angekündigt. Das UN-Büro in Haiti arbeite daran, "eine Luftbrücke mit der Dominikanischen Republik einzurichten, um den Transport von Hilfsgütern und die Verlagerung von UN-Personal zu ermöglichen", hieß es am Mittwoch (Ortszeit) im Onlinedienst X. Einer der mächtigsten Bandenchefs im Land erklärte derweil, die Kämpfe trotz des Rücktritts von Regierungschef Ariel Henry fortsetzen zu wollen.
"Wir werden den Kampf für die Befreiung Haitis fortsetzen", sagte der auch "Barbecue" ("Grill") genannte Bandenchef Jimmy Chérizier in einem Interview mit dem kolumbianischen Radiosender W. Der Rücktritt von Regierungschef Henry bedeute ihm "wenig".
Die Banden, die große Teile des Landes und rund 80 Prozent der Hauptstadt Port-au-Prince kontrollieren, sorgen seit Wochen für eine Eskalation der Gewalt. Die Lage im Land hatte sich Ende Februar während einer Auslandsreise von Regierungschef Henry verschärft.
Bewaffnete Bandenmitglieder griffen Polizeistationen an und befreiten tausende Häftlinge aus Gefängnissen. Sie forderten den Rücktritt des seit 2021 regierenden Henry, der eigentlich Anfang Februar aus dem Amt des Ministerpräsidenten hätte scheiden sollen.
Henry war zu Beginn der Woche nach einem Dringlichkeitstreffen von Vertretern des karibischen Staatenbündnisses Caricom, der USA und der Vereinten Nationen schließlich zurückgetreten. Nun soll ein Übergangsrat gebildet werden.
Dieser soll sich aus sieben stimmberechtigten Mitgliedern aus politischen Parteien, dem Privatsektor und einer Koalition der Zivilgesellschaft zusammensetzen. Außerdem sind zwei nicht stimmberechtigte Sitze vorgesehen. Das Gremium soll nun einen Interimspremierminister ernennen. Die Banden sind von der Bildung einer Übergangsregierung ausgeschlossen.
Aufgrund der Gewalt zog die EU ihr gesamtes diplomatisches Personal ab, auch der deutsche Botschafter verließ das Land. Die Vereinten Nationen kündigten ebenfalls den Abzug zahlreicher Mitarbeiter aus Haiti an.
Nach Tagen im Ausnahmezustand herrschte am Mittwoch in der Hauptstadt Port-au-Prince relative Ruhe. Wie ein AFP-Reporter berichtete, waren die Geschäfte geöffnet, es fuhren Busse und auch einige Büros der Regierung waren nach zweiwöchiger Schließung wieder geöffnet. Die Schulen blieben jedoch nach wie vor geschlossen, ebenso der Flughafen der Stadt.
Unter den Einwohnern wurde der Rücktritt des Regierungschefs begrüßt. Henry sei "das größte Hindernis gewesen, das wir hatten", sagte Emmanuel, der seinen Nachnamen nicht nennen wollte. "Er hatte nicht wirklich einen Plan, was er mit dem Land machen wollte. Wir brauchen einen schnellen Mechanismus, um ihn zu ersetzen."
Der Haitianer Jean Dieuchel betonte, es liege nun am Volk zu entscheiden, wer Premierminister und wer Präsident sein solle. "Diese Menschen sollten haitianische Patrioten sein und ein Gefühl der nationalen Souveränität haben."
In Haiti hat es seit 2016 keine Wahlen mehr gegeben. Die Ermordung von Präsident Jovenel Moïse im Juli 2021 hatte den ohnehin von Kriminalität, politischer Instabilität und großer Armut geprägten Karibikstaat in eine noch tiefere Krise gestürzt. Banden kontrollieren inzwischen weite Teile des Landes, die Zahl der Morde hat sich im vergangenen Jahr mehr als verdoppelt.
M.J.Baumann--NZN