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Bei ihrem Besuch in Berlin hat die estnische Regierungschefin Kaja Kallas der russischen Regierung vorgeworfen, dass sie die liberale Demokratie als ihren "größten Feind" ansehe. "Für den Kreml ist demokratische Regierungsführung in Europa eine Bedrohung, die er zu zerstören versucht", sagte Kallas am Dienstag bei einer Konferenz der Friedrich-August-von-Hayek-Stiftung laut Redetext. Sie sprach sich bei einer Pressekonferenz dafür aus, dass die Unterstützer Kiews sich dazu verpflichten, 0,25 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts jährlich für Militärhilfe für die Ukraine auszugeben.
Der Kreml "sieht liberale Demokratie als seinen größten Feind", fuhr Kallas auf der Konferenz fort, an der auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) teilnahm. "Darum ist er in die Ukraine einmarschiert und dafür kämpft die Ukraine heute - für uns alle." Nach der Konferenz war ein bilaterales Gespräch mit Scholz geplant.
Dem Bundeskanzler habe sie für die deutsche Unterstützung der Ukraine und das Engagement für die Verteidigung des Baltikums gedankt, schrieb Kallas im Onlinedienst X zu einem Foto, auf dem sie dem Kanzler die Hand schüttelt.
Estland stelle jedes Jahr 0,25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für die Militärhilfe für die Ukraine zur Verfügung, erklärte Kallas bei X weiter. "Habe unsere Idee vorgestellt. Es ist eine Erfolgsstrategie, wenn alle mitmachen."
Diesen Vorschlag sprach Kallas auch bei der Pressekonferenz an. Russland denke, länger durchhalten zu können, sagte sie. Wenn aber jeder aus der Rammstein-Kontaktgruppe mindestens die 0,25 Prozent des BIP als Militärhilfe für die Ukraine versprechen würde, "könnten wir Russland übertreffen", sagte Kallas. Estland habe sich mindestens für die nächsten vier Jahre zu dieser Zusage verpflichtet. "Deshalb lade ich auch andere ein, dasselbe zu tun."
Die Ramstein-Kontaktgruppe geht auf ein Treffen zurück, bei dem im April 2022 Vertreter aus 50 Ländern als Ukraine-Kontaktgruppe zusammengekommen waren, um westliche Waffenhilfe für die Ukraine zu organisieren.
Kallas plädierte auch dafür, dass die Nato-Verbündeten ihre eigene Verteidigung stärken und mehr als drei Prozent ihres BIPs dafür investieren. "Schwäche" provoziere Russland, sagte Kallas.
Kallas war am Morgen von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier empfangen worden. "Estlands Sicherheit ist unsere, ist Europas Sicherheit", sagte Steinmeier beim Treffen mit Kallas, wie seine Sprecherin beim Onlinedienst X mitteilte. Am Nachmittag sollte Kallas mit dem Walther-Rathenau-Preis geehrt werden - für ihren Einsatz für die europäische Verständigung und für die Ukraine. Die Laudatio sollte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) halten.
Kallas hatte Deutschland bereits im Februar einen Besuch abgestattet und dabei auch den Bundeskanzler getroffen. Bei dem Besuch ging es vor allem um die gemeinsame Unterstützung des Westens für die Ukraine im russischen Angriffskrieg.
Die Beziehungen zwischen den Ex-Sowjetrepubliken Estland, Lettland und Litauen zu Moskau sind seit der Unabhängigkeit der Baltenstaaten angespannt. Durch den russischen Einmarsch in der Ukraine vor zwei Jahren wurde dies nochmals verstärkt. Alle drei Länder haben bereits russische Diplomaten wegen des Ukraine-Konfliktes ausgewiesen. Zuletzt wies Estland wegen mutmaßlicher Einmischung in innere Angelegenheiten einen russischen Diplomaten aus, wie der estnische Außenminister Margus Tsahkna am Dienstag mitteilte.
Kallas steht in Estland seit 2021 an der Spitze der Regierung. Moskau hatte vor einem Jahr bereits die diplomatischen Beziehungen zu Tallinn heruntergefahren und seinen Botschafter zurückberufen. In diesem Zusammenhang warf der Kreml Estland "komplette Russenfeindlichkeit" vor. Wegen ihrer angeblichen Beteiligung an der Zerstörung von Kriegsdenkmälern aus der Sowjetzeit schrieb Russland Kallas im Februar dieses Jahres sogar zur Fahndung aus.
Die estnische Regierungschefin gilt auch als Favoritin der Osteuropäer für die Nachfolge von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Aus Sicht westlicher Staaten spricht allerdings gegen Kallas, dass sie stark in den Konflikt mit Russland verwickelt ist.
A.P.Huber--NZN