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Beim EU-Gipfel in Brüssel hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj dringend weitere Munition sowie die Nutzung der in Europa eingefrorenen russischen Milliarden gefordert. Es sei "beschämend für Europa", dass die Mitgliedsländer so wenige Artilleriegeschosse lieferten, sagte er am Donnerstag in einem Videoappell an die in Brüssel versammelten Staats- und Regierungschefs. Ungarn nannte die Nutzung russischen Vermögens für Militärhilfe eine "rote Linie", auch in anderen EU-Ländern gibt es Vorbehalte.
Selenskyj verwies auf die zunehmend schwierige Lage in den Kämpfen gegen Russland und die jüngsten russischen Luftangriffe auf die ukrainische Hauptstadt Kiew. Es sei "entscheidend", dass Europa mehr Munition sowie Luftabwehrsysteme liefere. Die Europäer waren mit einem Plan gescheitert, bis Ende März eine Million Artilleriegeschosse an Kiew zu liefern, nur gut ein Drittel davon kam zusammen.
Beim EU-Gipfel wurde vor allem auf Druck der Osteuropäer über eine Formulierung diskutiert, nach der die Europäer der Ukraine nicht nur "so lange wie nötig", sondern auch "so intensiv wie nötig" beistehen wollen.
In der EU-Debatte um die Nutzung der russischen Milliarden drängte Selenskyj zur Eile. "Noch dieses Jahr müssen wir das russische Vermögen einsetzen", forderte er. Es sei dabei "nur fair, wenn sowohl die Gewinne aus russischen Vermögenswerten als auch die Vermögenswerte selbst dazu dienen, die Ukraine wieder aufzubauen und teilweise auch, um Waffen zu kaufen", betonte er: "Russland muss die wahren Kosten des Krieges spüren."
Die EU hat seit Beginn des russischen Angriffskrieges gut 200 Milliarden Euro eingefroren, vor allem aus Reserven der russischen Zentralbank. Die Staatenimmunität schiebt der Beschlagnahme dieser Mittel einen Riegel vor. Der EU-Außenbeaufragte Josep Borrell schlägt deshalb vor, die Zinserlöse von rund drei Milliarden Euro pro Jahr für Waffen und Munition für die Ukraine zu nutzen. Dafür ist Konsens unter den EU-Mitgliedstaaten nötig.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) unterstützt die Pläne, wie er in Brüssel bekräftigte. Es gehe "um die Erträge, die niemandem zustehen, und die deshalb von der Europäischen Union verwendet werden können", erklärte er. Ausdrücklich befürwortete der Kanzler den Ankauf von Waffen und Munition aus den Zinserlösen aus russischem Vermögen.
Widerstand kommt aus Ungarn: Der politische Berater von Ungarns Regierungschef Viktor Orban, Balazs Orban, nannte solche Militärhilfen eine "rote Linie" für sein Land, schloss allerdings auch einen Kompromiss nicht aus.
Bei anderen EU-Ländern gibt es ebenfalls Vorbehalte. Österreichs Kanzler Karl Nehammer lehnte den Kauf von Waffen und Munition mit Mitteln aus den Zinserlösen ab, befürwortete aber Hilfen zum Wiederaufbau. Luxemburg und Portugal warnten vor juristischen Problemen. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hatte der EU mit "Vergeltung" gedroht, falls sie das russische Vermögen antaste.
Um Europas Verteidigung zu stärken, forderten Länder wie Frankreich, Estland, Litauen und Griechenland schuldenfinanzierte Milliarden-Anleihen nach dem Vorbild des Corona-Wiederaufbaufonds der EU. Die Niederlande, Schweden und Dänemark wiesen dies zurück, auch Kanzler Scholz gilt als Gegner.
Selenskyj warf der EU in seiner Videobotschaft zudem vor, weiterhin "ungehindert" russische Agrarprodukte zu importieren. Von der EU-Kommission wird am Freitag ein Vorschlag zu Zöllen auf russische Güter erwartet.
Kurz vor dem Gipfel hatte die EU sich auf Zugeständnisse an die europäischen Bauern zu Lasten der Ukraine geeinigt. Geplant ist ab Juni eine "Notbremse" für die zollfreie Einfuhr ukrainischer Agrarprodukte wie Hafer oder Geflügel. Vor allem in Polen und Frankreich klagen Landwirte über Preisdumping durch die billigeren ukrainischen Produkte.
Zu Beginn des Gipfels hatten die Staats- und Regierungschefs mit UN-Generalsekretär António Guterres über den Krieg im Gazastreifen diskutiert. Guterres forderte einen sofortigen Waffenstillstand. Diplomaten halten es für möglich, dass eine gemeinsame EU-Erklärung wie schon beim Dezember-Gipfel wegen der sehr unterschiedlichen Haltungen zu Israel und den Palästinensergebieten scheitert.
Erwartet wurde, dass die Staats- und Regierungschefs den Weg für Beitrittsverhandlungen mit Bosnien-Herzegowina freimachen, diese aber an die Auflage weiterer Reformschritte knüpfen. Derzeit sei das Zeugnis des Landes nur knapp ausreichend, hieß es bei dem Gipfeltreffen.
F.Carpenteri--NZN