SDAX
-48.2600
In der Diskussion über die Nutzung von eingefrorenem russischen Vermögen will Estland nicht nur Zinserträge, sondern die gesamten Vermögenswerte zur Finanzierung der Verteidigung der Ukraine zur Verfügung stellen. "Die Erträge sind für uns nur ein kleiner, aber wichtiger Schritt. Wir wollen aber auch die eingefrorenen Vermögenswerte selbst nutzen", sagte Estlands Außenminister Margus Tsahkna den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND, Freitagsausgaben).
Er kritisierte, dass EU-Staaten diese Gelder nicht anrühren wollten. "Ich verstehe nicht, wie Politiker, die wiedergewählt werden wollen, das ihren Steuerzahlern erklären wollen." Rechtliche Bedenken, die zuvor andere Länder geäußert hatten, wies Tsahkna zurück. "Ich bin überzeugt, dass es rechtlich möglich ist, auch das eingefrorene russische Vermögen der Ukraine zu geben." Was in Europa nun fehle, sei der "politische Wille".
Die EU hat seit Beginn des russischen Angriffskrieges gut 200 Milliarden Euro eingefroren, vor allem aus Reserven der russischen Zentralbank. Die Staatenimmunität schiebt der Beschlagnahme dieser Mittel einen Riegel vor. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell schlägt deshalb vor, die Zinserlöse von rund drei Milliarden Euro pro Jahr für Waffen und Munition für die Ukraine zu nutzen. Dafür ist Konsens unter den EU-Mitgliedstaaten nötig. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) unterstützt die Pläne.
In der Debatte um Bodentruppen in der Ukraine wollte Estlands Außenminister Tsahkna derweil einen Einsatz nicht ausschließen. "Ich befürworte diese Diskussion, die uns auf eine völlig neue Ebene bringt", sagte er den RND-Zeitungen. Es gebe jedoch "keine Verhandlungen über den Einsatz von Bodentruppen und die Ukrainer bitten uns auch nicht, unsere Soldaten vor Ort zu stationieren."
Statt Bodentruppen müsse der Westen Waffen liefern, sagte Tsahkna weiter. "Ich hoffe, dass sich die Einsicht durchsetzt, dass es viel billiger und sicherer ist, den Ukrainern Munition und Waffen zu liefern, damit sie kämpfen können, anstatt darüber nachzudenken, ob wir einmarschieren sollen oder nicht", fuhr er fort. "Wenn wir der Ukraine in der Zeit der Not nicht helfen, werden wir bald selbst in Not sein."
Tsahkna rief Europa auf, sich nicht vom russischen Präsidenten Wladimir Putin verängstigen zu lassen. "Denn Putin will, dass wir Angst haben." Wenn Europa Putin zeige, dass es keine Angst habe und dass es der Ukraine militärisch helfe, könne ihm etwas entgegengesetzt werden.
Die Diskussion über einen Einsatz von Bodentruppen in der Ukraine war im vergangenen Monat durch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ausgelöst worden. Dieser hatte damals den Einsatz von Bodentruppen durch sein Land in der Ukraine nicht ausgeschlossen. Zahlreiche westliche Staaten, darunter Deutschland, distanzierten sich daraufhin von Macrons Vorschlag. Macron hingegen bekräftigte seine Haltung im März noch einmal.
A.Senn--NZN