TecDAX
27.6400
Die USA setzen Israel verstärkt unter Druck, eine Waffenruhe im Gazastreifen zu akzeptieren und auf eine geplante Bodenoffensive in der Stadt Rafah zu verzichten: US-Außenminister Antony Blinken beriet am Freitag in Tel Aviv mit dem israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu über den Gaza-Krieg. Im UN-Sicherheitsrat scheiterte unterdessen ein Resolutionsentwurf der USA über eine "sofortige und dauerhafte Waffenruhe" am Veto Russlands und Chinas.
Blinken sprach erst mit Netanjahu und nahm dann an einer Sitzung des israelischen Kriegskabinetts teil. Erwartet wurde, dass er auf eine Ausweitung der humanitären Hilfe für die Bevölkerung im Gazastreifen dringen und seine Warnung vor einer israelischen Bodenoffensive in Rafah im Süden des Palästinensergebiets bekräftigen würde.
Wegen der Pläne war es zuletzt zu Unstimmigkeiten zwischen den Verbündeten USA und Israel gekommen. US-Präsident Joe Biden warnte Netanjahu mit immer größerem Nachdruck vor einer Bodenoffensive in Rafah, wo mittlerweile rund 1,5 Millionen der insgesamt 2,4 Millionen Bewohner des Gazastreifens vor den Kämpfen in anderen Teilen des Palästinensergebiets Schutz suchen. Blinken hatte die geplante Offensive am Donnerstag bei einem Besuch in Ägypten als einen "Fehler" bezeichnet.
Im UN-Sicherheitsrat stellten die USA einen Resolutionsentwurf zur Abstimmung, in dem Washington erstmals die "Notwendigkeit einer sofortigen und dauerhaften Waffenruhe" im Gazastreifen betonte, um Hilfslieferungen zu ermöglichen und die Not der Zivilbevölkerung zu lindern. Der Text rief zudem dazu auf, "diplomatische Anstrengungen" zu unterstützen, um eine Waffenruhe "in Verbindung" mit der Freilassung aller Geiseln zu erreichen.
Für den US-Vorschlag gab es im UN-Sicherheitsrat elf Stimmen. Die Veto-Mächte Russland und China sowie Algerien stimmten dagegen, Guyana enthielt sich. Der russische Botschafter bei der UNO in New York sprach von einem "heuchlerischen" Text, der nicht direkt ein Schweigen der Waffen im Gazastreifen gefordert habe.
Die USA hatten im UN-Sicherheitsrat zuvor bei mehreren Resolutionen, in denen sofortige Feuerpausen im Krieg zwischen Israel und der radikalislamischen Hamas gefordert wurden, ebenfalls von ihrem Vetorecht Gebrauch gemacht.
Nach dem Kurswechsel Washingtons verstärkten am Freitag auch Großbritannien und Australien den Druck auf Israel. Die Außen- und Verteidigungsminister beider Länder betonten nach einem Treffen die "Dringlichkeit einer sofortigen Einstellung der Kampfhandlungen im Gazastreifen". Am Wochenende wird auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) zu einem erneuten Besuch in die Region reisen.
Die US-Regierung bemüht sich seit Monaten zusammen mit Katar und Ägypten um ein weiteres Abkommen zwischen Israel und der Hamas. Auf dem Tisch lag zuletzt offenbar ein Vorschlag für eine sechswöchige Feuerpause und einen Austausch israelischer Geiseln gegen palästinensische Häftlinge. Die Verhandlungen, an denen auch der Chef des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad, David Barnea, beteiligt ist, sollten am Freitag in Katars Hauptstadt Doha fortgesetzt werden.
Der Krieg im Gazastreifen war durch den Großangriff der von den USA und der EU als Terrororganisation eingestuften Hamas auf Israel am 7. Oktober ausgelöst worden. Dabei wurden nach israelischen Angaben etwa 1160 Menschen getötet und rund 250 weitere als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt.
Israel geht seit dem Hamas-Angriff massiv militärisch im Gazastreifen vor. Dabei wurden nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, inzwischen mehr als 31.900 Menschen getötet.
Insbesondere rund um das Al-Schifa-Krankenhaus in Gaza wurde zuletzt heftig gekämpft. Nach Angaben der israelischen Armee wurden bei dem Einsatz bisher mehr als 150 militante Palästinenser getötet und hunderte weitere festgenommen. Israel flog in der Nacht zudem Luftangriffe auf Rafah, bei denen unter anderem ein Wohnhaus getroffen wurde.
Die israelische Regierung gab unterdessen die Beschlagnahmung von 800 Hektar Land im besetzten Westjordanland bekannt. Der rechtsextreme Finanzminister Bezalel Smotrich erklärte, das Gebiet im Jordantal sei zum "Staatsgebiet" erklärt worden. Nach Angaben der israelischen Organisation Frieden Jetzt, die den Bau israelischer Siedlungen im Westjordanland beobachtet, handelt es sich um die größte Beschlagnahmung von Land in den Palästinensergebieten seit den Oslo-Abkommen von 1993. Trotz internationale Proteste hat Israel in dem Palästinensergebiet in den vergangenen Jahrzehnten Dutzende Siedlungen errichtet, die von der UNO als völkerrechtswidrig eingestuft werden.
Ch.Siegenthaler--NZN