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Im Osten der Ukraine steht die Armee nach eigenen Angaben massiv unter Druck angesichts russischer Angriffe. Die Lage nahe der seit Wochen heftig umkämpften Stadt Tschassiw Jar sei "ziemlich schwierig und angespannt", sagte der Sprecher der 26. Artilleriebrigade, Oleh Kalaschnikow, am Sonntag im ukrainischen Fernsehen. In der ostukrainischen Millionenstadt Charkiw wurden indes bei russischen Angriffen mit Raketen und Drohnen mindestens sieben Menschen getötet.
Dem ukrainischen Brigadensprecher Kalaschnikow zufolge gelang es der Armee rund um Tschassiw Jar bislang, alle russischen Angriffe zurückzudrängen, Moskaus Truppen seien "auf dem Rückzug".
Der russische Gegner versuche indes, die umliegenden Ortschaften Bohdaniwka und Iwaniwske direkt anzugreifen und zugleich Offensivaktionen zwischen diesen beiden Orten auszuführen. Die russischen Streitkräfte setzten dabei "von gepanzerten Kampffahrzeugen unterstützte Infanterie" und Kampfjets ein.
Am Freitag hatte die Militärverwaltung von Tschassiw Jar "Dauerfeuer" auf die Stadt durch die russischen Truppen gemeldet. Ukrainische wie russische Militärblogger mit Verbindungen zum Militär hatten berichtet, dass die russischen Soldaten den Stadtrand erreicht hätten. Auch die regionalen pro-russischen Besatzungsbehörden hatten von Fortschritten der Armee in Richtung Tschassiw Jar gesprochen.
Die Stadt in der Region Donezk scheint das nächste große Ziel von Moskaus Armee zu sein. Die strategisch wichtige Stadt liegt einige Kilometer westlich von Bachmut, das Russland im vergangenen Mai nach monatelangen, heftigen Kämpfen eingenommen hatte.
In Tschassiw Jar wohnen nach Angaben des Bürgermeisters derzeit nur noch 770 Menschen, die Vorkriegsbevölkerung belief sich auf rund 13.000. Sollte den russischen Streitkräften aber die Eroberung von Tschassiw Jar gelingen, könnten sie ihre Angriffe auf die 30 Kilometer weiter südöstlich gelegene, von Kiew kontrollierte Großstadt Kramatorsk im Donbass ausweiten.
Kramatorsk ist die wichtigste Stadt der Region unter ukrainischer Kontrolle - und ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt mit zentraler Bedeutung für die Logistik der Armee. Brigadensprecher Kalaschnikow verwies im ukrainischen Fernsehen zudem darauf, dass die russische Armee dann die rund zehn Kilometer weiter südwestlich gelegene Stadt Kostjantyniwka unter Beschuss nehmen könnte.
Wegen Munitionsmangels ist die Ukraine im russischen Angriffskrieg seit einigen Monaten in der Defensive. Massive Militärhilfen der USA sind wegen eines Streits zwischen Republikanern und Demokraten im Kongress in Washington blockiert.
Bei den russischen Angriffen auf Charkiw wurden nach ukrainischen Behördenangaben vom Samstag mindestens sieben Menschen getötet und zwölf weitere verletzt. Demnach hatte die russische Armee den Wohnbezirk Schewtschenkiwskyi in der Nacht mit Raketen und Drohnen beschossen. Später folgte eine weitere Attacke.
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft wurden bei dem ersten Raketenangriff sechs Menschen getötet. Elf weitere Menschen hätten Verletzungen erlitten.
Gegen 00:20 Uhr hätten die russischen Streitkräfte Raketen auf den nördlich gelegenen Bezirk Schewtschenkiwskyi abgefeuert und dabei unter anderem Verwaltungsgebäude, eine Kinderkrippe, Geschäfte und Cafés beschädigt, erklärte die Staatsanwaltschaft weiter. Das russische Verteidigungsministerium gab seinerseits an, "Unternehmen des ukrainischen militärisch-industriellen Komplexes" ins Visier genommen und getroffen zu haben.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj schrieb im Online-Dienst Telegram von "russische(m) Terror gegen Charkiw", der nicht aufhöre. Er rief die Verbündeten Kiews erneut dazu auf, mehr Luftabwehrsysteme für das Land bereitzustellen.
Die Polizei von Charkiw erklärte, Russland habe "die Praxis des wiederholten Beschusses" angewendet. Zunächst sei die Stadt mit zwei S-300-Raketen angegriffen worden, erklärte sie in den Onlinenetzwerken. Als die Rettungskräfte an den Einschlagsorten im Einsatz gewesen seien, habe Russland Drohnen geschickt. Der Polizei zufolge wurden die Drohnen von der Luftabwehr abgeschossen.
Die Ukraine wird fast jede Nacht aus Russland angegriffen, die grenznahe Stadt Charkiw ist dabei besonders oft im Visier russischer Truppen. Ukrainische Behörden fordern die westlichen Verbündeten regelmäßig auf, mehr Luftabwehrsysteme zu liefern, darunter moderne Patriot-Systeme aus den USA.
Y.Keller--NZN