EUR/USD
0.0002
Rund viereinhalb Monate vor der Landtagswahl in Thüringen hat der Prozess gegen Thüringens AfD-Chef Björn Höcke wegen des Vorwurfs der Verwendung von NS-Vokabular begonnen. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft wusste der Angeklagte um die Herkunft und Bedeutung der von ihm verwendeten Parole "Alles für Deutschland". Höcke will sich voraussichtlich am Dienstag zu den Vorwürfen äußern.
Die Staatsanwaltschaft wirft dem von Verfassungsschützern als Rechtsextremist bezeichneten Höcke das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen vor. Er soll Ende Mai 2021 im sachsen-anhaltischen Merseburg bei einer AfD-Wahlkampfveranstaltung am Ende seiner Rede vor rund 250 Anhängern "Alles für unsere Heimat, alles für Sachsen-Anhalt, alles für Deutschland" gesagt haben.
Nach Überzeugung der Ankläger wusste der AfD-Rechtsaußenpolitiker, der vor seiner politischen Karriere Gymnasiallehrer für Geschichte war, dass es sich bei der Parole "Alles für Deutschland" um eine verbotene Losung der sogenannten Sturmabteilung (SA) der nationalsozialistischen Partei NSDAP handelte. "Er wusste, dass es sich um eine verbotene Losung handelte", sagte Staatsanwalt Benedikt Bernzen bei der zweiminütigen Anklageverlesung.
Höcke hatte das im Vorfeld des Prozesses bestritten. Für den nächsten Verhandlungstag am Dienstag stellten seine Verteidiger eine Aussage in Aussicht. Ihr Mandant sei "grundsätzlich" zu einer Einlassung bereit, sagte sein Anwalt Philip Müller.
Eine zweite Anklage gegen den AfD-Politiker wegen Verwendung der SA-Parole bei einer AfD-Veranstaltung im thüringischen Gera war unmittelbar vor Prozessbeginn abgetrennt worden. Grund war nach Angaben einer Gerichtssprecherin ein kurzfristiger Wechsel bei Höckes Verteidigern, weswegen zu wenig Vorbereitungszeit blieb. Es ist aber nicht ausgeschlossen, das diese Anklage später wieder in den laufenden Prozess eingebunden wird. Die Staatsanwaltschaft stellte dazu einen entsprechenden Antrag.
Die Anklageverlesung verzögerte sich wegen mehrerer Anträge der Verteidigung. Einen Antrag auf einen Tonmitschnitt des Prozesses lehnte die Kammer um den Vorsitzenden Richter Jan Stengel ab. Höckes Anwälte begründeten den Antrag mit der "historischen Relevanz" des Prozesses sowie damit, dass ihrem Mandanten "ein faires Verfahren" ermöglicht werden solle. Nach Ansicht der Kammer ist ein faires Verfahren auch ohne Mitschnitt gewährleistet.
In weiteren Anträgen forderte die Verteidigung erfolglos eine Unterbrechung der Verhandlung und eine höchstrichterliche Entscheidung zu der Frage, warum der Fall nicht am Amtsgericht Merseburg verhandelt wird. Das sachsen-anhaltische Oberlandesgericht Naumburg hatte dem Landgericht Halle wegen der Dimension des Falls und dem öffentlichen Interesse die Zuständigkeit zugewiesen. Staatsanwalt Bernzen warf den drei Anwälten von Höcke vor, das Verfahren mit ihren Anträgen und Beschwerden "zu torpedieren".
Angesichts der Landtagswahl in Thüringen am 1. September steht das Verfahren unter besonderer Beobachtung. Höcke selbst verfolgte die Verhandlung teils mit scheinbarer Gelassenheit, teils zeigte sein Gesicht aber auch Anspannung. Sein Anwalt Müller sprach von einer "massiven Vorverurteilung" seines Mandanten schon vor Prozessbeginn und kritisierte eine Medienberichterstattung "in einem stark aufgeheizten und polarisierenden Ton".
Für den Prozess in Halle sind bislang weitere Verhandlungstermine bis zum 14. Mai eingeplant, die Staatsanwaltschaft regte allerdings bereits weitere Termine an. Bei einer Verurteilung drohen Höcke bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe oder eine Geldstrafe.
Die Verhandlung findet wegen des großen öffentlichen und medialen Interesses im Justizzentrum Halle mit besonderen Sicherheitskontrollen statt. Zum Prozessauftakt versammelten sich dort am Donnerstag dutzende Demonstranten, um gegen die AfD zu protestieren. Sie trugen Plakate wie "AfD stoppen" und "Björn Höcke ist ein Nazi". Zu der Kundgebung aufgerufen hatte die Initiative Halle gegen Rechts.
Höcke ist Spitzenkandidat der AfD für die Landtagswahl Anfang September. Die AfD liegt in den Umfragen seit Monaten vorn. Höcke selbst will Ministerpräsident werden, allerdings will keine andere Partei mit der AfD koalieren. Im Falle einer Verurteilung zu mindestens sechs Monaten Freiheitsstrafe könnte das Gericht ihm nach Angaben einer Sprecherin die Amtsfähigkeit und das aktive sowie passive Wahlrecht absprechen.
In Thüringen kommt auf Höcke, der Vorsitzender der Landespartei und der AfD-Landtagsfraktion ist, indes ein weiterer Prozess zu. Das Landgericht Mühlhausen ließ Ende Januar eine Anklage wegen des Verdachts der Volksverhetzung gegen den AfD-Politiker zu. Es geht dabei um einen Beitrag von Höcke aus dem Jahr 2022 im Social-Media-Dienst Telegram nach einem tödlichen Messerangriff eines Somaliers in Rheinland-Pfalz.
T.Gerber--NZN