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Am zweiten Tag seines Besuchs in der Türkei hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Erdbebenregion im Süden des Landes besucht. In der Stadt Nurdagi, die bei dem verheerenden Beben im Februar 2023 zur Hälfte zerstört wurde, sprach Steinmeier am Dienstag mit Überlebenden in einer Notunterkunft. "Die Familien, die wir hier treffen, sind oft doppelt hart getroffen", sagte er. "Einerseits, weil sie aus ihrer Heimat Syrien geflüchtet sind, andererseits, weil sie hier zum Opfer eines großen Erdbebens geworden sind."
Steinmeier kündigte eine weitere Unterstützung an - die Region dürfe "nicht vergessen werden". Mit seinem Besuch in der Provinz Gaziantep wollte er nach Angaben des Bundespräsidialamts "die besondere Verbindung zwischen den Menschen in der Türkei und in Deutschland" zeigen - dieses Thema zieht sich als Leitmotiv durch seinen dreitägigen Besuch in der Türkei. Nach dem Beben stellte Deutschland "den größten bilateralen Beitrag zur Verfügung, Hilfsgüter und Gelder für die humanitäre Hilfe", sagte der Bundespräsident. Die Höhe der Finanzkredite zum Wiederaufbau von Bildungseinrichtungen in der Erdbebenregion beträgt demnach 300 Millionen Euro.
Bei dem Beben im vergangenen Jahr waren im Südosten der Türkei und im Nordwesten Syriens rund 57.000 Menschen ums Leben gekommen. In der Stadt Nurdagi starben rund 4200 der 25.000 Einwohner. Deutsche Hilfsgelder finanzieren hier ein Projekt zur psychosozialen Gesundheit der Betroffenen - mit Traumatherapie, Aktivitäten für Kinder und Maßnahmen gegen geschlechtsspezifische Gewalt.
Am Mittwoch will Steinmeier zum Abschluss seiner Reise den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Ankara treffen. "Ich unterstelle, dass das nicht in allen Punkten einfache Gespräche sein werden", sagte Steinmeier in Nurdagi. Eines der wichtigsten Themen werde die Lage im Nahen Osten sein, "bei der wir hoffentlich gemeinsam das Interesse haben, eine Eskalation in dieser Region zu verhindern". Ein weiteres Thema werde der Krieg in der Ukraine sein.
Den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern bewerten Deutschland und die Türkei sehr unterschiedlich. Die Türkei unterstützt die radikalislamische Hamas, Deutschland stuft sie als Terrororganisation ein. Für Spannungen in den deutsch-türkischen Beziehungen sorgt regelmäßig auch das Thema von Demokratie- und Rechtsstaatsdefiziten in der Türkei.
Am Vormittag war Steinmeier in Istanbul mit Vertreterinnen und Vertretern der Zivilgesellschaft zu einem vertraulichen Gespräch zusammengekommen. Der Schwerpunkt der Unterredung in Istanbul am Dienstagmorgen habe beim Thema Rechtsstaatlichkeit gelegen, hieß es aus dem Umfeld des Bundespräsidenten gegenüber der Nachrichtenagentur AFP.
Dabei sei die Lage von Inhaftierten angesprochen worden. Auch die allgemeine politische Stimmung nach den Kommunalwahlen und Visafragen hätten eine Rolle gespielt. Über die Details des Gesprächs sowie die Identität der Gesprächspartner des Bundespräsidenten wurde den Angaben zufolge Stillschweigen vereinbart.
Internationale Organisationen und Regierungskritiker werfen der türkischen Führung gravierende Defizite im Bereich von Menschenrechten und Demokratie vor - etwa willkürliche Verhaftungen ohne legitime rechtliche Basis von Journalisten und Menschenrechtsaktivisten und die Diskriminierung der kurdischen Minderheit. Zu Beginn seines Besuchs am Montag hatte der Bundespräsident in Istanbul Bürgermeister Ekrem Imamoglu getroffen, der einer der populärsten Vertreter der Opposition in der Türkei ist.
L.Zimmermann--NZN