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Nach der Veröffentlichung eines Geisel-Videos durch die radikalislamische Hamas ist es in Israel zu regierungskritischen Protesten gekommen. In dem Video beschuldigt die Geisel Hersh Goldberg-Polin den israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu, die Geiseln in der Gewalt der Hamas "im Stich gelassen" zu haben. Daraufhin forderten in der Nacht zu Donnerstag dutzende Demonstranten vor Netanjahus Residenz in Jerusalem, dass die Regierung die Geiseln nach Hause holen solle.
Das im Onlinekanal Telegram veröffentlichte Hamas-Video ist das erste Lebenszeichen von Hersh Goldberg-Polin seit mehr als 200 Tagen. Der 23-jährige US-israelische Doppelstaatler war israelischen Medien zufolge am 7. Oktober bei dem Hamas-Großangriff auf das Nova-Musikfestival in Südisrael schwer verletzt und anschließend in den Gazastreifen entführt worden. In der am Mittwochabend veröffentlichten Aufnahme ist er mit einem roten Hemd bekleidet und auf einem Plastikstuhl sitzend zu sehen, sein linker Arm ist amputiert.
"Ich wollte mit meinen Freunden abhängen und fand mich stattdessen mit schweren Verletzungen am ganzen Körper um mein Leben kämpfend wieder", sagt der 24-Jährige, dessen Eltern seit fast sieben Monaten auf das Schicksal ihres Sohnes aufmerksam machen, unter anderem bei Treffen mit US-Präsident Joe Biden und Papst Franziskus. Sie erklärten nun, sie seien "erleichtert, ihn lebend zu sehen". Die Eltern stimmten einer Veröffentlichtung des Videos laut einem Angehörigenverband zu.
Goldberg-Polin beschuldigt Israels Regierungschef Netanjahu und dessen Regierung, am 7. Oktober beim Hamas-Angriff tausende Israelis und seitdem auch die Geiseln "im Stich gelassen" zu haben. Die Geiseln seien unter der Erde, es fehle ihnen an Wasser, Nahrung und medizinischer Versorgung. Die Nachrichtenagentur AFP konnte die Echtheit und den Aufnahmezeitpunkt des Videos zunächst nicht unabhängig prüfen.
Unterdessen zogen in der Nacht zu Donnerstag dutzende Demonstranten zu Netanjahus Privatresidenz in Jerusalem. Sie trugen Plakate mit der Aufschrift: "Bringt sie nach Hause". Die Demonstranten attackierten zudem den Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben Gvir, bei dem Versuch, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen.
Die Hamas hat in der Vergangenheit ähnliche Geisel-Videos veröffentlicht. Israel verurteilt diese Veröffentlichungen als psychologische Kriegsführung.
Der deutsche Botschafter in Israel, Steffen Seibert, zeigte sich betroffen. "Zwiespältige Gefühle über das Video der Geisel Hersh Goldberg-Polin", schrieb Seibert im Onlinedienst X. "Voller Zuneigung für seine Eltern, die endlich ein Lebenszeichen von ihm bekommen und ihn hoffentlich bald wiedersehen werden. Unendliche Verachtung für die Hamas-Terroristen, die in diesem Video so grausam für ihr eigenes schreckliches Verbrechen werben."
Laut einem Bericht des US-Nachrichtenportals "Axios" leitete die Hamas das Video an Katar weiter. Das Golfemirat ist neben den USA und Ägypten ein wichtiger Vermittler zwischen Israel und der Hamas bei den seit Monaten stockenden Verhandlungen über die Freilassung der Geiseln und eine Feuerpause im Gazastreifen.
Doha habe das Video am Montag an die USA geschickt, berichtete "Axios" weiter. Demnach übt Katar seit einiger Zeit Druck auf die Hamas auf, um einen Lebensbeweis der Geiseln zu erhalten und diesen an die USA weiterzuleiten. Für die Hamas gehe es darum, Druck auf Israel im Rahmen der Gespräche über eine Feuerpause und eine Freilassung von Geiseln aufzubauen, hieß es.
Der Großangriff der Hamas am 7. Oktober hatte den Krieg zwischen Israel und der islamistischen Palästinenserorganisation im Gazastreifen ausgelöst. Kämpfer der von der EU und den USA als Terrororganisation eingestuften Hamas und weiterer militanter Palästinensergruppen waren in israelische Orte eingedrungen und hatten Gräueltaten an Zivilisten verübt.
Nach israelischen Angaben töteten sie etwa 1170 Menschen, zudem verschleppten sie rund 250 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen. Israel schätzt, dass sich noch 129 dieser Geiseln im Gazastreifen befinden - darunter 34, die das Militär für tot hält.
Israel geht seither massiv militärisch im Gazastreifen vor. Dabei wurden nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, bisher mehr als 34.300 Menschen getötet.
Medienberichten zufolge bereitet sich Israel derweil ungeachtet internationaler Kritik auf eine Bodenoffensive in Rafah im Süden des Gazastreifens vor. Laut vom "Wall Street Journal" zitierten ägyptischen Regierungsvertretern bereitet Israel die Evakuierung von Zivilisten aus Rafah nach Chan Junis vor, wo Unterkünfte und Verteilungszentren für Lebensmitteln eingerichtet werden sollen. In der an der Grenze zu Ägypten gelegenen Stadt suchen mehr als 1,5 Millionen Menschen des Gazastreifens Schutz.
Der israelische Regierungssprecher David Mencer erklärte am Mittwoch, Israel schreite "in Richtung seiner Operation voran, die auf die Hamas in Rafah abzielt". Ihm zufolge befinden sich in der Grenzstadt zu Ägypten "noch vier Bataillone" der Hamas. Nach Angaben der israelischen Armee hält die Hamas in Rafah auch Geiseln fest.
J.Hasler--NZN