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Sechs Wochen vor der Europawahl hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vor einem drohenden Bedeutungsverlust Europas gewarnt. "Unser Europa ist sterblich, es kann sterben, und das hängt von unseren Entscheidungen ab", sagte er am Donnerstag in einer Rede an der Pariser Universität Sorbonne. "Es besteht ein immenses Risiko, geschwächt oder gar abgehängt zu werden", fügte er hinzu. Macron hatte am selben Ort 2017 eine wegweisende Rede zur Europapolitik gehalten.
"Die Zeit, in der Europa seine Energie und seinen Dünger aus Russland bezog, seine Produkte in China herstellen ließ und seine Sicherheit an die USA delegierte, ist endgültig vorbei", sagte Macron, der seinen Aufruf zu einer größeren Souveränität Europas bekräftigte.
"Ein mächtiges Europa ist ein Europa, das sich Respekt verschafft und für seine Sicherheit sorgt", sagte der französische Präsident und rief zu einer "glaubhaften" europäischen Verteidigung auf. "Ich lade in den kommenden Monaten alle Partner ein, eine europäische Verteidigungsinitiative aufzubauen", sagte er.
Dazu zähle unter anderem der Aufbau einer europäischen Militärakademie. Nötig sei auch eine europäische Kapazität für Cybersicherheit. "Europa muss das, was ihm am Herzen liegt, verteidigen können - mit seinen Verbündeten, wenn sie dazu bereit sind, aber auch allein, wenn es nötig ist", sagte er.
Europa müsse zeigen, "dass es niemals der Vasall der USA ist", sagte Macron. Dabei bekräftigte er seine Forderung, bei Rüstungsgütern europäische Produktionen zu bevorzugen und dafür auch gemeinsame Schulden aufzunehmen - Forderungen, die in Berlin bislang nicht umfassend geteilt werden.
Frankreich werde dabei seine Rolle spielen, sagte Macron. Die nukleare Abschreckung, über die Frankreich verfüge, sei dabei "ein unumgängliches Element der Verteidigung des europäischen Kontinents", erklärte Macron. "Dank dieser glaubwürdigen Verteidigung können wir die Sicherheitsgarantien aufbauen, die unsere Partner in ganz Europa erwarten", betonte er.
Macron plädierte zudem für eine engere Zusammenarbeit bei der Bekämpfung illegaler Einwanderung. Dabei kritisierte er das britische Vorhaben, Einwanderer nach Ruanda abzuschieben, allerdings ohne die Pläne direkt zu benennen. "Ich glaube nicht an ein Modell, das darin besteht, Drittländer auf dem afrikanischen Kontinent zu finden", sagte er. Dies sei eine "Geopolitik des Zynismus, die unsere Werte verrät, neue Abhängigkeiten aufbaut und sich als völlig ineffizient erweisen wird."
Mit Blick auf die Wirtschaftspolitik forderte Macron eine "Neuausrichtung" der europäischen Handelspolitik, um besser die eigenen europäischen Interessen zu verteidigen. "Es kann nicht funktionieren, wenn wir die einzigen sind, die die Handelsregeln (...) einhalten, während die Chinesen und Amerikaner dies nicht tun, sondern kritische Sektoren subventionieren", sagte er.
Die Bevorzugung europäischer Produkte bei der Verteidigung und Raumfahrt solle in den europäischen Verträgen festgeschrieben werden. Bei Schlüsselsektoren wie Künstlicher Intelligenz und grünen Technologien solle es Ausnahmeregelungen für Subventionen geben. Dazu zähle auch die Atomkraft, weil sie emissionsarme Energie produziere. "Wir sollten uns dazu bekennen, ein Europa der Atomkraft zu schaffen", sagte Macron. Er rief dazu auf, die europäische Atomallianz weiter auszubauen, die bereits 15 Mitglieder habe.
Macron hatte bereits 2017 in demselben prunkvollen Hörsaal der Sorbonne zu einer größeren Souveränität Europas und einer stärkeren gemeinsamen Verteidigung aufgerufen. Seine Rede wurde als Beitrag zum Europa-Wahlkampf gewertet. Sein Lager liegt in Umfragen derzeit weit abgeschlagen hinter der rechtspopulistischen Partei Rassemblement National (RN).
S.Scheidegger--NZN