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Im Streit um die Verwertbarkeit von sogenannten Encrochat-Daten hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg deutschen Anklagebehörden den Rücken gestärkt. Auch ein Staatsanwalt dürfe bereits vorliegende Beweismittel von ausländischen Behörden anfordern - nicht nur ein Richter, entschied der EuGH am Dienstag. Im konkreten Fall hatte die Staatsanwaltschaft die französischen Behörden um Daten gebeten. (Az. C-670/22)
Über den als sehr abhörsicher geltenden Encrochat-Kommunikationsdienst kommunizierten mutmaßliche Kriminelle europaweit. Französischen und niederländische Ermittlern gelang in Zusammenarbeit mit den EU-Behörden Europol und Eurojust 2020 ein Hackerangriff auf das Programm. Die Kommunikationsdaten deutscher Nutzer wurden unter anderem dem deutschen Bundeskriminalamt über einen Europol-Server zur Verfügung gestellt.
Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main bat die französischen Behörden mit einer Europäischen Ermittlungsanordnung darum, die Daten unbeschränkt in Strafverfahren verwenden zu können. Das Strafgericht Lille genehmigte daraufhin die Übermittlung dieser Daten und ihre Verwendung in Strafverfahren in Deutschland. Infolge der Entschlüsselung wurden in Deutschland tausende Strafverfahren eingeleitet.
In einem davon muss das Berliner Landgericht über einen Fall mutmaßlichen Drogenhandels entscheiden. Es zweifelte aber daran, dass die Beweismittel - vor allem Text- und Bildnachrichten - verwendet werden durften. Darum setzte es das Verfahren aus und stellte dem EuGH verschiedene Fragen.
Dieser präzisierte nun die Voraussetzungen für die Übermittlung und Verwendung von Beweismitteln. Ein Staatsanwalt darf sich demnach solche Daten von einem anderen EU-Mitgliedsstaat geben lassen, wenn er auch im Inland dafür zuständig wäre. Dass die französischen Behörden die Beweise in Deutschland und im Interesse der deutschen Behörden erhoben, sei hier nicht wichtig.
Allerdings setzte der EuGH auch Grenzen. So müsse es einem Gericht möglich sein, die Wahrung der Grundrechte Betroffener zu überprüfen. Außerdem müsse ein EU-Land einen anderen Mitgliedsstaat vorab über Überwachung von Telekommunikation auf seinem Hoheitsgebiet informieren. Dessen Behörden könnten die Überwachung untersagen, wenn sie in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall nicht genehmigt würde.
Der EuGH betonte, dass ein faires Verfahren gewährleistet werden müsse. Wenn ein Angeklagter zu wichtigen Informationen oder Beweismitteln nicht sachgerecht Stellung nehmen könne, müssten diese unberücksichtigt bleiben.
Das Landgericht hatte den EuGH auch gefragt, ob die Encrochat-Daten überhaupt verwendet werden dürften. Darauf antwortete der Gerichtshof, dass die Entscheidung im konkreten Fall Sache des Landgerichts sei. Dieses ist dabei an die Rechtsauffassung des EuGH gebunden.
Der deutsche Bundesgerichtshof genehmigte die Verwertung von Encrochat-Daten zur Aufklärung schwerer Straftaten bereits 2022. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entschied darüber noch nicht.
W.O.Ludwig--NZN