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Zwei Tage nach Beginn eines russischen Vorstoßes in der ostukrainischen Region Charkiw sind dort nach Angaben des Gouverneurs mehr als 4000 Menschen aus grenznahen Gebieten evakuiert worden. "Insgesamt wurden 4073 Menschen evakuiert", erklärte Regionalgouverneur Oleh Synehubow am Sonntag in Onlinenetzwerken. Russland meldete unterdessen die Einnahme von vier weiteren Dörfern in Charkiw. Die russischen Streitkräfte seien "tief in die feindlichen Verteidigungslinien vorgedrungen", gab das russische Verteidigungsministerium an.
"Wir waren nicht bereit zu gehen. Zuhause ist zuhause", sagte die evakuierte 72-jährige Ljuda Selenskaja der Nachrichtenagentur AFP in der Nähe des Grenzorts Wowtschansk. Viele der dort auf die Abfahrt in die Stadt Charkiw wartenden Evakuierten waren ältere Menschen. Gouverneur Synehubow gab auch an, dass ein 63-Jähriger am Sonntag bei Artilleriebeschuss im Dorf Hlyboke getötet und ein 38-Jähriger in Wowtschansk verletzt worden sei.
Nach Angaben eines hochrangigen Polizisten in Wowtschansk wurden dort bei Bombardierungen am Samstag "mehrere Personen" getötet, ein weiteres Todesopfer wurde demnach in der Nacht in Trümmern gefunden. "Die Stadt steht unter beständigem Beschuss", sagte er.
Am Freitag hatte die russische Armee ukrainischen Angaben zufolge eine Bodenoffensive in der Region Charkiw gestartet und war dabei um rund einen Kilometer in ukrainisches Gebiet vorgestoßen. Russland hat seit Beginn seiner Invasion im Februar 2022 versucht, die Grenzregion Charkiw zu erobern; im Herbst 2022 musste sich seine Armee von dort wieder weitgehend zurückziehen. Doch wie überall an der Front sind es auch in dieser Region seit dem Scheitern der ukrainischen Gegenoffensive im Sommer 2023 die russischen Streitkräfte, die derzeit die Initiative haben.
Schon am Samstag hatte das russische Verteidigungsministerium die Einnahme von fünf Dörfern in der Region sowie einem in der Region Donezk gemeldet. Am Sonntag erklärte das Ministerium, dass die russischen Truppen zudem "die Ortschaften Hatischtsche, Krasnoje, Morochowez und Olejnikowo" in der Region Charkiw befreit hätten.
Der ukrainische Armeechef Oleksandr Syrsky erklärte zwar, dass "die Versuche, unsere Verteidigung zu durchbrechen, gestoppt worden" seien. Er räumte jedoch ein, dass sich die Situation in der Region Charkiw "bedeutend verschlechtert" habe und "kompliziert" bleibe. Die ukrainischen Streitkräfte "tun alles, was sie können, um ihre Verteidigungslinien aufrechtzuerhalten und dem Feind Schaden zuzufügen", gab Syrsky an.
Hauptaufgabe der ukrainischen Truppen sei es derzeit, die "russischen Angriffspläne zu stören", sagte Staatschef Wolodymyr Selenskyj in seiner abendlichen Videoansprache am Samstag. Die Truppen müssten der Ukraine nun "die Initiative zurückgeben", hatte Selenskyj zuvor gesagt. Zudem hatte er erneut weitere Unterstützung durch die westlichen Verbündeten gefordert. Selenskyj sagte, das Hilfspaket, das der Ukraine wirklich helfe, seien "jene Waffen, die in die Ukraine geliefert werden, nicht die angekündigten". Er fügte an: "Jedes Luftverteidigungssystem, jedes Raketenabwehrsystem rettet buchstäblich Leben."
Moskau hat in den vergangenen Monaten seinen Vorsprung auf dem Schlachtfeld ausgebaut, während Kiew auf wichtige westliche Waffenlieferungen wartete.
Ziel der russischen Armee ist es derzeit nach Einschätzung eines hochrangigen ukrainischen Militärvertreters, eine "Pufferzone" in den Regionen Charkiw und Sumy zu schaffen, um das ukrainische Militär daran zu hindern, russisches Staatsgebiet weiter unter Beschuss zu nehmen. In den vergangenen Monaten war das russische Grenzgebiet häufig von der ukrainischen Armee beschossen worden. Zudem waren pro-ukrainische russische Milizen im März dieses Jahres sowie im August 2023 auf russisches Gebiet vorgerückt.
Nach Angaben des russischen Katastrophenschutzministeriums wurden bei einem ukrainischen Raketenangriff auf die grenznahe russische Stadt Belgorod am Sonntag 17 Menschen verletzt, darunter zwei Kinder. Die Verletzten seien aus den Trümmern eines durch den Angriff teilweise eingestürzten Gebäudes gerettet worden.
In der Nacht zu Sonntag geriet nach russischen Behördenangaben überdies eine Ölraffinerie nach einem ukrainischen Drohnenangriff in Brand. Die Drohne sei abgewehrt worden, teilte Regionalgouverneur Andrej Botscharow im Onlinedienst Telegram mit. "Der Absturz der Drohne und eine anschließende Explosion haben zu einem Feuer auf dem Gelände der Ölraffinerie in Wolgograd geführt." Es habe keine Opfer gegeben. Die Raffinerie wird vom russischen Ölkonzern Lukoil betrieben, laut eigenen Angaben der größte Ölproduzent in Südwestrussland.
W.F.Portman--NZN