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Bei einer richtungsweisenden Wahl haben die Menschen in Katalonien am Sonntag über ein neues Regionalparlament und damit auch über einen neuen Regionalpräsidenten abgestimmt. Vier Stunden nach Öffnung der Wahllokale lag die Beteiligung offiziellen Angaben zufolge bei knapp 27 Prozent und damit rund vier Prozentpunkte höher als bei der Regionalwahl im Februar 2021. Bis 20.00 Uhr war eine Stimmabgabe möglich, mit ersten Ergebnissen wurde am späteren Abend gerechnet.
Sowohl für die regierenden Sozialisten von Ministerpräsident Pedro Sánchez als auch für die Unabhängigkeitsbefürworter um den ehemaligen katalanischen Regionalpräsidenten Carles Puigdemont steht bei der Abstimmung über die 135 Sitze im Regionalparlament viel auf dem Spiel. Sánchez hofft in der wohlhabenden Region im Nordosten Spaniens auf eine Rückeroberung der Macht und eine Bestätigung seiner Politik der Entspannung in Katalonien, doch auch Puigdemont spekuliert auf ein politisches Comeback.
Der sozialistische Kandidat und ehemalige Gesundheitsminister Salvador Illa sagte nach seiner Stimmabgabe am Sonntag, seine Partei werde in Katalonien "einen entscheidenden neuen Weg" eröffnen. In den Umfragen lagen die Sozialisten bislang klar vorne - vor Puigdemonts Partei Junts per Catalunya (Zusammen für Katalonien) und der anderen großen Partei der Unabhängigkeitsbefürworter, Republikanische Linke Kataloniens (ERC), des amtierenden Regionalpräsidenten Pere Aragonès.
Dennoch müssten sich die Sozialisten auch im Fall eines Wahlsiegs Verbündete suchen, um auf die Mehrheit von 68 Sitzen im Parlament zu kommen. Daran waren sie bei der vorangegangenen Regionalwahl noch gescheitert: Damals konnten sich die Unabhängigkeitsbefürworter trotz eines Siegs der Sozialisten die Parlamentsmehrheit sichern.
Persönlich könnte Regierungschef Sánchez durch einen Wahlsieg mit seiner im November begonnenen neuen Amtszeit noch einmal durchstarten. Diese war bislang vor allem geprägt vom erbittertem Widerstand der rechten und rechtsextremen Opposition gegen seine Regierung - und zuletzt auch von Korruptionsvorwürfen aus der rechtsextremen Ecke gegen seine Frau, die den Regierungschef bewogen hatten, mit Rücktritt zu drohen.
Auf der Seite der Unabhängigkeitsbefürworter hofft der im Exil lebende Puigdemont auf eine Rückkehr an die Spitze des Regionalparlaments. Der 61-Jährige hatte seinen Wahlkampf von Südfrankreich aus geführt, da in Spanien nach wie vor ein Haftbefehl gegen ihn vorliegt.
Puigdemont war 2017 der führende Kopf der Abspaltungsbemühungen der wirtschaftlich starken Region von Spanien. Trotz des Widerstands der damaligen konservativen Zentralregierung in Madrid und eines gerichtlichen Verbots wurde ein Referendum abgehalten, welches das Land in seine schwerste politische Krise seit dem Ende der Franco-Diktatur in den 1970er Jahren stürzte.
Puigdemont floh vor der spanischen Strafverfolgung ins Exil, blieb aber weiterhin in der Regionalpolitik aktiv und führte Junts per Catalunya von Belgien aus. Nun hofft er nicht nur auf eine Rückkehr als katalanischer Regionalpräsident, sondern auch auf eine Heimkehr nach Katalonien, was infolge eines von Sánchez erlassenen Amnestiegesetzes für katalanische Unabhängigkeitsbefürworter in greifbare Nähe gerückt ist. Noch in diesem Monat soll das spanische Parlament endgültig über das Gesetz abstimmen - ungeachtet des erbitterten Widerstands der rechten und ultrarechten Parteien.
Trotz des Rückstands in den Umfragen zeigte sich Puigdemont kurz vor der Wahl optimistisch. Die Katalanen "haben sich in Stellung gebracht, um erneut zu gewinnen und sich von all denen, die uns angegriffen haben, Respekt zu verschaffen", sagte er am Freitag. Für den Fall einer Niederlage seiner Partei kündigte Puigdemont bereits seinen Rückzug aus der Regionalpolitik an.
Die Mehrheit für ein Bündnis der Unabhängigkeitsbefürworter, die schon bei der vorherigen Wahl zerstritten waren, könnte durch das Auftreten der neuen, extrem rechten Separatistenpartei Katalanische Allianz jedoch zusätzlich erschwert werden. Eine Zusammenarbeit mit dieser Partei hatten die anderen Unabhängigkeitsbefürworter ausgeschlossen.
Sie bedauere, dass die verschiedenen Gruppierungen der Unabhängigkeitsbefürworter nicht in der Lage seien, "sich zu einigen", sagte die 80-jährige Anna Trullols vor einem Wahllokal in Barcelona. Laut der 31-jährigen Ainhoa Matos haben dagegen die Unabhängigkeitsbestrebungen in Katalonien "stark nachgelassen". Sie forderte einen Wandel, damit "die Unabhängigkeitsbefürworter nicht nur für die Unabhängigkeitsbefürworter regieren".
A.Ferraro--NZN