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Die Ukraine gerät in der nordöstlichen Region Charkiw zunehmend unter Druck. Angesichts des Vorrückens russischer Truppen verkündete das ukrainische Militär am Mittwoch den Abzug von Truppen aus mehreren umkämpften Ortschaften. Die Regierung in Kiew kündigte die Entsendung zusätzlicher Verstärkung an. Wegen der angespannten Lage sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj für die kommenden Tage alle Auslandsreisen ab. Russland meldete derweil die Einnahme von zwei weiteren Ortschaften in der Region.
"Aufgrund der Kampfentwicklungen und der Angriffe des Feindes" seien an mehreren Orten in Lukjanzi und Wowtschansk Truppen verlegt worden, "um das Leben unserer Soldaten zu retten", sagte ein Militärsprecher im ukrainischen Fernsehen. Die Einheiten seien "auf günstigere Positionen" verlegt worden.
Die Behörden in Wowtschansk berichteten von heftigen Straßenkämpfen. "Wir sind hier, evakuieren die Menschen und helfen ihnen", erklärte der örtliche Polizeichef in Onlinemedien. Die Situation in der Stadt nahe der Grenze zu Russland sei "extrem schwierig".
Nach Angaben des ukrainischen Innenministeriums wurden in der Region Charkiw innerhalb eines Tages drei Zivilisten durch russischen Beschuss getötet; die Polizei meldete zudem fünf Verletzte. Zum Schutz der Zivilbevölkerung wurden laut ukrainischen Rettungskräften 8000 Menschen aus der Region evakuiert, darunter vor allem Frauen, Kinder und ältere Menschen.
Russland hatte Ende vergangener Woche eine Offensive in der Region Charkiw gestartet. Am Mittwoch meldete das Verteidigungsministerium in Moskau die Einnahme von zwei weiteren Ortschaften in der Region: Die russischen Streitkräfte hätten die Dörfer Hlyboke und Lukjanzi "befreit" und seien tief in die feindlichen Verteidigungslinien vorgedrungen, hieß es in einer Erklärung der russischen Armee.
Zudem meldete Russland die Einnahme des völlig zerstörten Dorfes Robotyne in der Region Saporischschja im Süden der Ukraine. Die Ortschaft war im vergangenen August nach heftigen Kämpfen von den ukrainischen Truppen zurückerobert worden. Die Ukraine hatte dies als Erfolg ihrer Gegenoffensive gefeiert.
Ein Sprecher des ukrainischen Präsidenten kündigte auf Facebook an, zusätzliche Truppen würden als Verstärkung in die Region Charkiw geschickt. "Zusätzliche Kräfte werden eingesetzt, Reserven sind vorhanden", hieß es. Der ukrainische Generalstab erklärte, die Lage in der Region sei "nach wie vor schwierig". Die Armee werde es jedoch "den russischen Besatzern nicht erlauben, Fuß zu fassen".
Ukrainischen Angaben zufolge hat Russland 30.000 Soldaten in die Region entsandt. Die Millionenstadt Charkiw sei durch die Offensive aber nicht bedroht, hieß es.
Nach Einschätzung von Militärexperten könnte Moskau die Ukraine mit der Offensive in der Region Charkiw zwingen wollen, Truppen aus anderen Gebieten abzuziehen, etwas aus der strategisch wichtigen Stadt Tschassiw Jar in der östlichen Region Donezk. Auch dort rücken die russischen Streitkräfte weiter vor.
Auch in anderen Landesteilen setzte Russland seine Angriffe fort. Bei Raketenbeschuss auf die Stadt Dnipro im Zentrum der Ukraine wurde Behörden zufolge mindestens zwei Menschen getötet. Zudem wurde Infrastruktur beschädigt, wie der Gouverneur der Region Dnipropetrowsk mitteilte. In der südlichen Stadt Mykolajiw gab es laut Behörden mindestens fünf Verletzte.
US-Außenminister Antony Blinken setzte unterdessen seinen zweitägigen Besuch in der Ukraine fort. Bei einer Pressekonferenz mit seinem Amtskollegen Dmytro Kuleba sagte er dem Land weitere Militärhilfen in Höhe von zwei Milliarden Dollar (1,85 Milliarden Euro) zu. Das Geld stammt aus einem Hilfspaket im Umfang von 61 Milliarden Dollar, dem der US-Kongress im April nach monatelanger Blockade zugestimmt hatte.
Wie die Ukraine die Waffen einsetze, sei ihr überlassen, sagte Blinken. "Wir haben keine Angriffe außerhalb der Ukraine unterstützt oder ermöglicht", betonte er. Letztlich müsse das Land aber selbst entscheiden, wie es seinen Krieg führen wolle.
Blinken war am Dienstagmorgen von Polen aus mit einem Nachtzug nach Kiew gereist. Es ist der vierte Ukraine-Besuch des US-Außenministers seit Beginn des russischen Angriffskriegs im Februar 2022.
F.Carpenteri--NZN