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Der russische Präsident Wladimir Putin hat Kiew vorgeworfen, eine Kapitulation der ukrainischen Truppen in der belagerten Hafenstadt Mariupol zu verhindern. Das "Kiewer Regime" erlaube nicht, "dass diese Möglichkeit genutzt wird", sagte Putin laut Angaben des Kreml in einem Telefonat mit EU-Ratspräsident Charles Michel am Freitag. Ein hochrangiger General gab unterdessen Details zu Russlands militärischen Zielen bekannt: Die Armee strebt demnach die vollständige Kontrolle über den gesamten Donbass sowie den Süden des Landes an.
Moskau hatte die strategisch wichtige Hafenstadt Mariupol am Donnerstag für "befreit" erklärt. Kiew widersprach und erklärte am Freitag, die ukrainischen Kämpfer, die sich im Stahlwerk der Stadt verschanzt haben, blieben "standhaft".
Putin versprach den Kämpfern im Fall einer Kapitulation erneut, dass ihnen "das Leben, eine menschenwürdige Behandlung" und medizinische Versorgung garantiert werde. EU-Ratspräsident Michel verlangte in dem Telefonat mit dem Kreml-Chef die unverzügliche Öffnung von Fluchtwegen aus Mariupol, "besonders anlässlich des orthodoxen Osterfestes". Dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zufolge hat Russland eine Feuerpause über die Osterfeiertage jedoch abgelehnt.
Das russische Verteidigungsministerium erklärte am Freitag zwar, Russland sei "jederzeit" zu einer Feuerpause auf dem Industriegelände Asow-Stahl bereit, wo sich die Soldaten und auch zahlreiche Zivilisten aufhalten. Voraussetzung wäre jedoch, dass die ukrainischen Verbände die weiße Flagge hissten.
Erstmals machte am Freitag ein hochrangiger russischer Militärvertreter detaillierte Angaben zu Russlands Zielen in der "zweiten Phase" seines Militäreinsatzes. Seit Beginn dieser Phase sei es eine der Aufgaben der Armee, "die vollständige Kontrolle über den Donbass und die Südukraine zu erlangen", sagte der Generalmajor Rustam Minnekajew laut russischen Nachrichtenagenturen.
Mit der Eroberung des Donbass und des Südens könne eine "Landverbindung" zur annektierten Krim-Halbinsel geschaffen werden, sagte Minnekajew. Seine Äußerungen scheinen zu bestätigen, dass Moskau auch die Eroberung der drittgrößten ukrainischen Stadt Odessa am Schwarzen Meer anstrebt.
Laut Minnekajew, der Vize-Kommandeur der Truppen des zentralrussischen Militärbezirks ist, könnte die Kontrolle über die Südukraine Russland auch in die Lage versetzen, die prorussischen Separatisten in Transnistrien in der Republik Moldau zu unterstützen.
Damit wäre auch ein "Korridor nach Transnistrien" geschaffen, wo es "ebenfalls Fälle von Unterdrückung der russischsprachigen Bevölkerung" gebe, sagte er. Die Regierung der ehemaligen Sowjetrepublik Moldau ist ebenso wie die Ukraine pro-westlich.
Das moldauische Außenministerium bestellte nach Minnekajews Äußerungen den russischen Botschafter ein und forderte Moskau zum Respekt der "territorialen Souveränität" und "Neutralität" des Landes auf.
Der Leiter der ukrainischen Präsidialverwaltung, Andrij Jermak, maß Minnekajews skizziertem Militärplan wenig Bedeutung bei. "Wir haben unsere eigenen Szenarien, um die Ukraine zu verteidigen", erklärte er in Onlinenetzwerken. "Viele Pläne des Kreml wurden bereits durch die Arbeit unserer Armee und unserer Bevölkerung zunichte gemacht."
Die Verhandlungen zwischen Moskau und Kiew sind derweil offenbar ins Stocken geraten. Die Gespräche seien festgefahren, da Moskau keine Antwort auf einen Vorschlag erhalten habe, der vor fünf Tagen der ukrainischen Seite unterbreitet worden sei, sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow am Freitag.
Die UNO erklärte, Russlands Taten in der Ukraine seit Kriegsbeginn könnten auf Kriegsverbrechen hinauslaufen. Die russischen Truppen hätten unter anderem "wahllos Wohngebiete bombardiert" und Zivilisten getötet, sagte Ravina Shamdasani, Sprecherin des UN-Menschenrechtskommissariats. So sei allein in Butscha die "unrechtmäßige Tötung" von 50 Zivilisten dokumentiert worden.
UN-Generalsekretär António Guterres reist am Dienstag nach Moskau. Dort will er Kreml-Chef Putin und Außenminister Lawrow treffen. Putin lehnte bislang jeden Kontakt mit dem UN-Generalsekretär ab, da dieser den Einmarsch Russlands in die Ukraine als Verstoß gegen die UN-Charta bezeichnet hatte.
P.E.Steiner--NZN