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Nach mehr als einem Jahr zunehmend heftiger Kämpfe zwischen Israel und der libanesischen Hisbollah-Miliz ist am Mittwochmorgen eine Waffenruhe in Kraft getreten. In Vororten von Beirut feierten Anhänger der Hisbollah das Abkommen als "Sieg" gegen Israel. Zehntausende vor den Kämpfen geflohene Menschen machten sich auf den Weg zurück in ihre Häuser im Südlibanon. Die israelische Armee verhängte unterdessen nächtliche Bewegungseinschränkungen für den Südlibanon.
Die Einschränkungen würden bis Donnerstag 07.00 Uhr gelten, teilte Armeesprecher Avichay Adraee im Onlinedienst X mit. Demnach dürfen die Bewohner von Dörfern im Südlibanon, deren Evakuierung die israelische Armee zuvor befohlen hatte, während dieser Zeit nicht dorthin zurückkehren.
Zudem ist es der Bevölkerung verboten, in dieser Zeit den Fluss Litani Richtung Süden zu überqueren. Der Fluss gilt auch im Hinblick auf die Waffenruhe als wichtige Grenze.
Die von den USA und Frankreich vermittelte Einigung, die seit dem frühen Mittwochmorgen gilt, sieht vor, dass die israelischen Truppen den Südlibanon innerhalb von 60 Tagen schrittweise verlassen. Die Hisbollah-Miliz soll sich nach Norden bis hinter den Fluss Litani zurückziehen. Stattdessen soll die libanesische Armee im Südlibanon die Kontrolle übernehmen.
Während der libanesische Parlamentspräsident Nabih Berri die vor den Kämpfen geflüchteten Bewohner zur Rückkehr in ihre Häuser ermunterte, mahnte die Führung der libanesischen Armee zur Geduld. Die Menschen sollten warten, bis sich die israelischen Truppen vollständig aus dem Süden des Landes zurückgezogen hätten. Sie begann am Mittwoch damit, ihre Präsenz in der Region an der Grenze zu Israel zu verstärken.
Die pro-iranische Hisbollah-Miliz erklärte, mit der libanesischen Armee zusammenarbeiten zu wollen. Ein Vertreter wies darauf hin, dass die Miliz im Südlibanon "keine sichtbaren Waffen oder Stützpunkte" habe. Niemand könne die Bewohner zwingen, ihre Dörfer zu verlassen, sagte er.
Der libanesische Ministerpräsident Nadschib Mikati forderte Israel auf, seine Soldaten wie vereinbart aus dem Grenzgebiet abzuziehen. Weiter lobte er die Waffenruhe als "neues Kapitel" für sein Land.
Auf der Hauptverkehrsstraße zwischen Beirut und dem Süden des Landes staute sich bereits am Morgen der Verkehr. Tausende Menschen machten sich in mit Matratzen, Koffern und Decken beladenen Fahrzeugen auf den Weg, um in ihre Häuser zurückzukehren. Einige hupten und sangen.
Indes feierten Bewohner der Hisbollah-Hochburgen am südlichen Stadtrand von Beirut das Abkommen als "Sieg" gegen Israel. Zahlreiche Menschen fuhren auf Motorrädern durch die Straßen und schwenkten die gelbe Fahne der pro-iranischen Miliz. Der südliche Stadtrand von Beirut war in den vergangenen zwei Monaten immer wieder von der israelischen Luftwaffe bombardiert worden, viele Gebäude liegen in Trümmern.
US-Präsident Joe Biden erklärte, die USA und Frankreich würden dafür sorgen, dass das Abkommen vollständig umgesetzt werde. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erklärte, es sei wichtig, dass sich alle an das Vereinbarte hielten, "damit die Menschen auf beiden Seiten der Grenze wieder in Sicherheit leben können".
Laut Biden wollen die USA gemeinsam mit weiteren Vermittlerstaaten in den kommenden Tagen "einen weiteren Vorstoß" für einen Waffenstillstand im Gazastreifen unternehmen. Katar und die palästinensische Autonomiebehörde äußerten nach dem Inkrafttreten der Waffenruhe im Libanon die Hoffnung auf ein ähnliches Abkommen für den Gazastreifen. Die in dem Palästinensergebiet herrschende islamistische Hamas erklärte ihre Bereitschaft zu einer solchen Vereinbarung.
Regierungschef Benjamin Netanjahu hatte bereits zuvor angekündigt, dass sich mit der am Dienstagabend vom israelischen Sicherheitskabinett gebilligten Waffenruhe nun der Druck auf die Hamas im Gazastreifen erhöhen werde. Zudem werde sich Israel auf die "Bedrohung durch den Iran" konzentrieren.
Ein Sprecher des iranischen Außenministeriums erklärte, die Regierung seines Landes unterstütze "nachdrücklich die libanesische Regierung, Nation und den Widerstand". Zudem rief er die internationale Gemeinschaft dazu auf, "effektiven Druck" auf Israel für das Erreichen einer Waffenruhe auch im Gazastreifen auszuüben.
Russland begrüßte die Waffenruhe. "Moskau sieht das positiv", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow laut staatlichen russischen Nachrichtenagenturen. Es sei aber wichtig, "dass die Umsetzung des Abkommens den Vereinbarungen entspricht."
Nach dem brutalen Großangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 hatte die Hisbollah mit regelmäßigen Raketenangriffen vom Süden des Libanon aus eine zweite Front gegen Israel eröffnet. Als Reaktion beschoss Israel Hisbollah-Ziele im Nachbarland. Seit Mitte September hatte die israelische Armee ihre Angriffe deutlich verstärkt, zudem startete sie Ende September Bodeneinsätze im Süden des Libanon.
Laut libanesischen Regierungsangaben wurden seit Beginn des Konflikts mehr als 3800 Menschen getötet. Mehr als 900.000 Menschen flohen nach Einschätzung der UNO vor den Kämpfen. Auf israelischer Seite wurden nach Behördenangaben 82 Soldaten und 47 Zivilisten getötet und zehntausende Menschen vertrieben.
W.O.Ludwig--NZN