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Eine Korruptionsaffäre im Zusammenhang mit dem Fußball-WM-Gastgeberland Katar erschüttert das EU-Parlament. Die belgische Polizei nahm wegen des Verdachts der "bandenmäßigen Korruption und Geldwäsche" die griechische Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Eva Kaili, und vier weitere Menschen fest - am Samstag wurden Forderungen nach einem Rücktritt Kailis und weiteren Konsequenzen laut. Der Skandal dreht sich um den Verdacht, dass Katar mit beträchtlichen Geldsummen und Geschenken versuchte, die Entscheidungen der europäischen Gesetzgebung zu beeinflussen.
Am Freitag gab es in Brüssel insgesamt fünf Festnahmen; Kaili, eine der 14 Vizepräsidenten des EU-Parlaments, wurde dabei in ihrer Wohnung festgenommen. Auch vier Italiener wurden festgenommen, darunter Kailis Lebensgefährte Francesco Giorgi, der parlamentarischer Mitarbeiter der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament ist.
Nach Informationen der belgischen Zeitung "L'Echo" entdeckten die Ermittler "mehrere Säcke voller Geldscheine" in Kailis Wohnung. Die Polizei veranlasste demnach die Durchsuchung der Räumlichkeiten, nachdem sie den Vater Kailis mit einer großen Menge Bargeld in "einem Koffer" erwischt hatte.
Festgenommen wurden zudem der ehemalige sozialdemokratische Europaabgeordnete und heutige Chef der Nichtregierungsorganisation Fight Impunity, Pier Antonio Panzeri, sowie der Generalsekretär des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB), Luca Visentini.
Bei den Razzien beschlagnahmte die Polizei laut belgischer Bundesstaatsanwaltschaft Bargeld in Höhe von rund 600.000 Euro sowie Datenträger und Mobiltelefone, die nun ausgewertet würden. Am Samstag wurden die fünf Beschuldigten nach Angaben eines Sprechers der Ermittlungsbehörde in Brüssel weiter vernommen. Der zuständige Ermittlungsrichter musste entscheiden, ob die Beschuldigten in Untersuchungshaft kommen.
Zu dem in den Korruptionsfall involvierten Land teilte die Staatsanwaltschaft mit, dass es sich um einen "Golfstaat" handele. Dieser stehe im Verdacht, "wirtschaftliche und politische Entscheidungen des europäischen Parlaments zu beeinflussen", indem er "beträchtliche Geldsummen zahlt oder erhebliche Geschenke verschenkt". Begünstigte seien dabei Persönlichkeiten mit einer "politisch und/oder strategisch bedeutenden Position" im EU-Parlament.
Mit den Ermittlungen vertraute Kreisen bestätigten gegenüber AFP, dass es sich bei dem Golfstaat um Katar handele. Zuvor hatten dies die belgische Tageszeitung "Le Soir" und die Wochenzeitung "Knack" nach gemeinsamen Recherchen berichtet.
Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn forderte Kaili zum Verzicht auf ihren Parlamentssitz auf. "Ich hoffe, dass diese Frau den Anstand hat, ihr Mandat zurückzugeben", sagte Asselborn dem "Tagesspiegel" (Sonntagsausgabe). Grünen-Europapolitiker Anton Hofreiter sagte im Interview mit dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland" (RND), wenn sich die Vorwürfe bewahrheiteten - wofür einiges spreche - müsse sich Kaili "nicht nur aus dem Präsidium des EU-Parlaments zurückziehen, sondern auch ihr Mandat niederlegen".
Die Nichtregierungsorganisation Transparency International (TI) erklärte, das EU-Parlament habe jahrzehntelang die Entwicklung einer "Kultur der Straflosigkeit" und einen "Mangel an unabhängiger ethischer Kontrolle" zugelassen. Bei dem nun bekannt gewordenen Sachverhalt handele sich "nicht um einen Einzelfall".
Die 44-jährige ehemalige Fernsehmoderatorin Kaili hatte am 22. November im EU-Parlament gesagt, die Fußballweltmeisterschaft in Katar sei "ein konkreter Beweis dafür, wie Sportdiplomatie zu einer historischen Transformation eines Landes führen kann, dessen Reformen die arabische Welt inspiriert haben". Katar sei "führend bei den Arbeitsrechten". Einigen EU-Abgeordneten warf sie hingegen vor, Katar zu "drangsalieren" und korrupt zu sein.
NGOs werfen Katar seit Jahren vor, die Menschenrechte hunderttausender Wanderarbeiter aus Asien und Afrika zu verletzen. Die Berichte über die schlechte Behandlung von Wanderarbeitern überschattet die derzeitige Fußball-WM in Katar, bei der gerade die Halbfinal-Teilnehmer ermittelt werden.
2021 hatte die britische Zeitung "The Guardian" berichtet, seit der WM-Vergabe an Katar im Jahr 2010 seien 6500 ausländische Arbeiter in dem reichen Golfstaat zu Tode gekommen. Katar wies dies zurück. Nach Angaben der Regierung in Doha kamen zwischen 2014 und 2020 414 Gastarbeiter bei Arbeitsunfällen ums Leben.
A.P.Huber--NZN