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Sie werden im Internet bedroht, zur Prostitution gezwungen, zu Hause verprügelt und ermordet: Frauen werden immer häufiger Opfer von Gewalttaten und anderen Delikten. Das zeigt ein erstmals erstelltes Bundeslagebild des Bundeskriminalamts (BKA), das am Dienstag vorgestellt wurde. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nannte die Situation "unerträglich", Bundesfrauenministerin Lisa Paus (Grüne) bezeichnete die Zahlen als "beschämend" und forderte eine schnelle Verabschiedung des von ihr vorgelegten Gewalthilfegesetzes.
Das BKA hatte zum ersten Mal ein bundesweites Lagebild zu "geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichteten Straftaten" erstellt. "In jeder Fallgruppe ist im Vergleich zum Vorjahr die Anzahl der weiblichen Opfer gestiegen", heißt es darin.
Untersucht wurden Delikte, "die überwiegend zum Nachteil von Frauen begangen werden oder in ihrer Ausprägung primär Frauen betreffen". Dazu gehören Sexualstraftaten, häusliche Gewalt, Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung, digitale Gewalt und Femizide; außerdem Fälle von politisch motivierter Kriminalität, bei denen frauenfeindliche Vorurteile zentrales Tatmotiv waren. Die Tatverdächtigen waren jeweils überwiegend Männer.
Überall nahmen demnach die Opferzahlen von 2022 auf 2023 zu. BKA-Vizepräsident Michael Kretschmer wies zudem auf enorme Steigerungen im Fünfjahresvergleich hin: Seit 2019 sei die Zahl der von häuslicher Gewalt betroffenen Frauen um 17 Prozent gestiegen auf gut 180.000; bei Sexualstraftaten habe es eine Zunahme um 27 Prozent auf 52.300 Betroffene gegeben.
2023 wurden zudem 360 Frauen getötet, weil sie Frauen waren - also etwa aus Frauenhass, wegen einer Trennung oder im Kontext eines patriarchalischen Gesellschaftsbilds des Täters. Solche Taten werden als Femizide bezeichnet. In weiteren 578 Fällen kam es zu einem versuchten Tötungsdelikt.
"Fast jeden Tag wird in Deutschland eine Frau oder ein Mädchen getötet", sagte Faeser auf der Pressekonferenz in Berlin. Mit Blick auf die gesamte Statistik fügte sie hinzu: "Es entsetzt mich, wenn ich diese Zahlen ansehe." Um die Situation noch besser zu erfassen, wurde laut Faeser eine Dunkelfeldstudie in Auftrag gegeben. Erste Ergebnisse sollen im März vorliegen.
Paus sagte, die Zahlen zeigten, wie sehr "Gewalt zum Alltag der Frauen gehört". Betroffene gebe es in allen gesellschaftlichen Schichten. Es bedürfe hier "weiterhin koordinierter Anstrengungen" von Bund, Ländern, Kommunen und Zivilgesellschaft.
In diesem Zusammenhang forderte Paus eine Verabschiedung des Gewalthilfegesetzes noch vor der vorgezogenen Bundestagswahl. Der Entwurf werde nächste Woche im Kabinett beschlossen und solle dann "zügig" im Bundestag beraten werden, sagte sie. Ein Beschluss sei Anfang des neuen Jahres möglich.
Paus betonte, dass sie lange und "intensiv" mit den Bundesländern verhandelt habe - "auch die Länder warten auf das Gesetz". Es soll einen individuellen Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe für Gewaltopfer verankern. Außerdem soll es für einen "bedarfsgerechten Ausbau des Hilfesystems" sorgen, wie Paus erläuterte. Dafür sind die Länder zuständig - der Bund will sich an der Finanzierung beteiligen.
Bei der erhofften Verabschiedung im Bundestag setzt Paus auf Unterstützung der Union - diese habe immer wieder auf ein solches Gesetz gedrungen. Die CDU-Familienpolitikerin Silvia Breher winkte jedoch ab: Zur Verabschiedung durch Bundestag und Bundesrat bleibe nicht genug Zeit, sagte sie dem "Spiegel".
Kooperativ zeigte sich hingegen die Gruppe Die Linke: "Der Bund muss mit einer Regelfinanzierung einen bundeseinheitlichen Rechtsrahmen und eine verlässliche Finanzierung des Hilfesystems garantieren", erklärte die frauenpolitische Sprecherin Gökay Akbulut. "Eine entsprechende Initiative aus der Minderheitsregierung würden wir klar unterstützen."
Rückendeckung bekam Paus von verschiedenen Organisationen: Die Caritas, die Arbeiterwohlfahrt (Awo) und Terre des Femmes forderten eine zügige Verabschiedung des Gesetzes.
Auch die Vorständin des Deutschen Frauenrats, Sylvia Haller, erklärte, der Bundestag müsse "umgehend" eine Lösung finden - "ohne wahlkämpferisches Taktieren". Das Lagebild müsse "ein Weckruf an alle demokratischen Parteien sein, um jetzt massiv in Gewaltschutz für alle und in Gewaltprävention zu investieren und dies gesetzlich abzusichern", erklärte Haller.
J.Hasler--NZN